Erziehung: Jeder Sechste hält Ohrfeigen für angebracht

Laut einer aktuellen Umfrage der Uniklinik Ulm ist die Zustimmung zu körperlicher Gewalt gegen Kinder weiter hoch.

Vor 20 Jahren, am 8. November 2000, trat in Deutschland das Recht jedes Kindes auf gewaltfreie Erziehung in Kraft. Dieser Schritt hat dazu beigetragen, die Einstellungen zu Körperstrafen in der Erziehung zu verändern und körperliche und psychische Gewalt gegen Kinder zurückzudrängen.

Doch trotz dieser positiven Entwicklung hält offenbar knapp jeder Zweite in Deutschland körperliche Gewalt gegen Kinder noch für angebracht. Das hat eine heute (19.11.2020) vorgestellte Umfrage der Ulmer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Unicef Deutschland und des Deutschen Kinderschutzbundes ergeben. Für die repräsentative Studie sind 2500 Leute befragt worden.

Wer Gewalt erfahren hat, akzeptiert sie eher in der Erziehung

Einen «Klaps auf den Hintern» findet demnach rund die Hälfte der Befragten angemessen, eine Ohrfeige ist für rund 23 Prozent in Ordnung. Der Anteil der Menschen, die Gewalt in der Erziehung anwenden oder als angebracht ansehen, ist laut der Studie seit dem Jahr 2000 allerdings deutlich gesunken. Mittlerweile sei jedoch ein Plateau erreicht, wie Jörg M. Fegert, Direktor der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie der Uniklinikum Ulm, sagte.

Von Männern werden sogenannte Körperstrafen eher befürwortet als von Frauen. Auch das Alter ist ein Faktor. Befragte über 60 Jahren hielten zu 65 Prozent den «Klaps auf den Hintern» für angemessen, Befragte unter 31 Jahren stimmten dem nur zu 45 Prozent zu. Die Staatsangehörigkeit oder das Einkommen haben dabei keinen Unterschied gezeigt.

Wer Gewalt erfahren hat, akzeptiert sie eher in der Erziehung. Teilnehmende, die selbst als Kind Körperstrafen und emotionale Gewalt erlebt haben, stimmen Körperstrafen in der Erziehung eher zu als Menschen, die ohne Gewalt groß geworden sind. So ist die Wahrscheinlichkeit, der Aussage „Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet“ zuzustimmen, bei der Gruppe, die selbst Körperstrafen in der Kindheit erlebt hat, fast 16-mal so hoch wie bei Menschen, die keine Körperstrafen erlebt haben. Haben sie emotionale Gewalt erfahren, ist die Wahrscheinlichkeit doppelt so hoch.

Gemeinsam fordern der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Unicef Deutschland und der Deutsche Kinderschutzbund, das Bewusstsein für alltägliche Gewalt gegen Kinder zu schärfen und das Recht auf gewaltfreie Erziehung auf allen Ebenen der Gesellschaft zu stärken und umzusetzen. Insbesondere das Ausmaß und die negativen Folgen psychischer Gewalt gegen Kinder werden bis heute weitgehend unterschätzt.

Kinder vor Gewalt schützen

Die Unicef hat die Kampagne #NiemalsGewalt dazu ins Leben gerufen und drei Ansätze entwickelt, die dringend notwendig seien, um Kinder nachhaltig vor Gewalt zu schützen:

Kinderrechte stärken: Durch die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz würden Kinder als eigene Träger von Grundrechten gestärkt und die Rahmenbedingungen für einen wirksamen Kinderschutz verbessert. So würden Kinderrechte in Gerichts- und Verwaltungsverfahren konsequenter berücksichtigt und Kinder müssten in Verfahren, die sie betreffen, angehört werden. Darüber hinaus muss die Grundlage für eine flächendeckend bessere Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe geschaffen werden. 

Über das Ausmaß und die Folgen jeglicher Form von Gewalt gegen Kinder aufklären: Dass Gewalt niemals hingenommen werden darf, muss als Daueraufgabe unserer gesamten Gesellschaft etabliert werden. Insbesondere das Bewusstsein für psychische Gewalt und ihre gravierenden Folgen muss geschärft werden. Dazu sind nachhaltige Aufklärungskampagnen und gezielte Prävention notwendig.  

Die Datenlage zu Gewalt gegen Kinder in der Erziehung verbessern: Eine systematische Datenerhebung ist das Fundament für wirksame Prävention und Intervention. Nur so kann das tatsächliche Ausmaß der Gewalt erkannt werden und Handlungsdruck entstehen.

Hintergrund zur Studie

Im Auftrag von Unicef Deutschland und dem Kinderschutzbund hat ein Forschungsteam der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm im Frühjahr 2020 2.500 repräsentativ ausgewählte Personen zu ihren Einstellungen zu Körperstrafen in der Erziehung befragt. Die aktuelle Studie baut auf bestehenden Arbeiten zur Akzeptanz von Körperstrafen auf und untersucht, wie sich Einstellungen seit Inkrafttreten des Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung im Jahr 2000 verändert haben.

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