FAQ zur Melchior-Debatte: Münstergemeinde klärt auf

Die Ulmer Münstergemeinde stellt in der Melchior-Debatte klar: Es geht nicht um Krippen im allgemeinen, schwarze Könige oder die Sternsinger.

 

 

Die Diskussion um den Melchior in der Krippe im Ulmer Münster zieht bundesweite Kreise. Um aufzuklären, worum es wirklich geht, hat die Münstergemeinde 14 Fragen und Antworten formuliert, die die Punkte benennen, die der Gemeinde bei der Entscheidung bzgl. der Krippe im Ulmer Münster wichtig waren.

Die Gemeinde hofft, dass so deutlich wird, um was es geht und um was nicht – nämlich nicht um Krippen im allgemeinen, nicht um schwarze Könige im allgemeinen und auch nicht um Sternsinger im allgemeinen.

 

14 Fragen und 14 Antworten von der Ulmer Münstergemeinde

Grund der Diskussion ist die Darstellung der Figur, die Stereotypen aus der Kolonialzeit bedient, nicht deren Hautfarbe

1. Warum werden drei Könige in diesem Jahr im Ulmer Münster nicht aufgestellt?

Manche haben an einer der drei Figuren schon früher Anstoß genommen. Die Darstellung ist voller Klischees und grotesk überzeichnet. Im Tross der Könige fallen zudem zwei schwarze Jungen auf. Einer trägt als Diener die Schleppe eines Königs. Dem anderen sitzt ein Affe, auf der Schulter, dessen Gesichtszüge sehr an die des schwarzen Königs erinnern. Sensibilisiert durch die gesellschaftliche Debatte hat der Kirchengemeinderat beschlossen, die drei Könige nicht aufzustellen. Im neuen Jahr soll es eine ausgiebige öffentliche Debatte darüber geben, was mit den Figuren geschehen soll.

 

2. Darf es keine Schwarzen an der Krippe geben?

Was für eine Frage! Natürlich soll, darf und muss es schwarze Menschen an der Krippe geben. Diese Frage hat sich uns gar nicht gestellt. Wir haben Probleme mit der klischeehaften Darstellung des schwarzen Königs in unserer Krippe. Die Idee, dass die Völkerwelt vereint an der Krippe steht, ist nach wie vor ein wichtiger und uns berührender Gedanke.

 

3. Wie kommen die drei Könige an die Krippe?

Das Matthäusevangelium (Mt 2, 1-12) berichtet von Magiern, also von sternkundigen, weisen Menschen, aus dem Osten, die sich auf den Weg gemacht haben, um dem neugeborenen König der Juden anzubeten. In Bethlehem finden sie das Kind in der Krippe. Die Ankunft dieser Magier wird am 6. Januar, an Epiphanias, dem Erscheinungsfest, gefeiert.

Aus der Zahl der Geschenke, Gold, Weihrauch und Myrrhe, hat man schon bald geschlossen, dass es drei Männer gewesen sein müssen. Im Frühmittelalter tauchen dann zum ersten Mal die Namen auf: Caspar, Melchior und Balthasar. Das Aussehen der Magier wird folgendermaßen beschrieben: Caspar ist der bartlose Jüngling, Melchior ein bärtiger Greis, Balthasar dunkel. Sie stehen repräsentativ für die drei damals bekannten Kontinente Europa, Asien und Afrika. Für das Matthäusevangelium ist die Anbetung der Magier die Erfüllung der Verheißung für Israel aus Jesaja 60, 3: „Und die Heiden (das sind die Völker) werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.“

 

4. Wird die Bibel jetzt in Ulm umgeschrieben?

Nein. Die Bibel wird nicht umgeschrieben. Das Neue Testament kennt zwei Geburtsgeschichten Jesu. Erstens die berühmte Weihnachtsgeschichte, die uns der Evangelist Lukas erzählt. Zweitens die Geschichte von den Magiern aus dem Osten, die das Jesuskind anbeten. In den gängigen Krippendarstellungen sind beide biblischen Geschichten zu einem Bild zusammengefügt worden. Wenn wir in diesem Jahr nur Maria mit dem Kind, Joseph und die Hirten in der Krippe zeigen, dann entspricht das genau der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium.

 

 

5. Woher stammt die Krippe im Münster?

Die Krippe im Ulmer Münster wird dort seit 1992 aufgestellt. Sie stammt aus dem Privatbesitz der Familie Mößner. 1920 hatte diese den Ulmer Künstler, Martin Scheible, beauftragt, eine Krippe zu schnitzen. Nach dem Tod der Eltern übergaben die Nachkommen die Krippenfiguren dem Münster. Vor dem Jahr 1992 gab es keine Krippe im Ulmer Münster.

 

6. Warum hat der Melchior eine Brezel?

Dazu gibt es eine eigene Legende: Die drei Weisen kamen, während sie dem Stern folgten, in Ulm vorbei. Als sie die Stadt durchquerten, entströmte aus einer Bäckerei ein betörender Brezelduft. Melchior kaufte drei frische Brezeln, um sie dem Kind mitzubringen. Aber der Geruch war so köstlich, dass die Reisenden nicht widerstehen konnten und die Mitbringsel selbst verzehrten. Als sie dann vor der Krippe standen, ärgerte sich Melchior darüber so sehr, dass er schwarz wurde. Er ging zurück und kaufte nochmal eine Brezel, um sie dem Christkind zu bringen. Dass ein Schwarzer schwarze Hautfarbe bekommt, weil er sich ärgert, ist eine seltsame Vorstellung.

7. Warum wird die Darstellung des schwarzen Königs in der Krippe nicht kommentiert?

Das hatten wir auch überlegt. Aber dann ist uns klar geworden: Wir können nicht eine Figur aufstellen, um dann daneben zu schreiben, dass wir uns von der herabsetzenden Art und Weise der Darstellung distanzieren. Der Künstler war sich seiner, in unseren heutigen Augen rassistischen Darstellung und künstlerischer Ausdrucksweise nicht bewusst. Aber wenn eine Figur in der Krippe Menschen beleidigt und beschämt, dann wollen wir diese auch nicht (mehr) aufstellen. Eine Krippe, die in einer Kirche aufgestellt wird, soll zur inneren Andacht anleiten. Eine Krippe soll die Betrachter einladen, selbst zum Kind in der Krippe zu gehen. Schön hat das Paul Gerhardt in dem „Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben“ ausgedrückt.

 

8. Warum wird der schwarze König nicht einfach ersetzt?

Das wäre eine Möglichkeit, die wir sorgfältig – auch zusammen mit der Stifterfamilie – überlegen möchten. Das heimlich zu tun und ohne mit der Gemeinde darüber zu sprechen, hätten wir schäbig und feige gefunden.

 

9. Was ist der Unterschied zwischen einer Krippe in einer Kirche und der Krippe in einem Museum?

In einem Museum betrachtet man Kunstwerke mit Distanz. Mit Tafeln wird ein Kunstwerk erläutert und in den zeit- und geistesgeschichtlichen Zusammenhang eines Kunstwerks eingeordnet. Eine Kirche hingegen ist ein Ort des Gebets. Wenn wir eine Krippe in der Kirche zeigen, so soll sie zur Mediation und dem Lob Gottes anleiten. Eine Krippe in einer Kirche verkündigt die Frohe Botschaft von Gottes Liebe.

Eine andere Figur aus der Krippe

10. Warum muss man überhaupt über den Melchior sprechen?

Wir meinen, dass man über den Melchior und seinen Tross in der Ulmer Krippe reden muss, weil hier Menschen durch die Art der Darstellung beschämt und herabgesetzt werden. Das wollen wir nicht. Alle Menschen sollen sich an der Krippe freuen können.

Rassismus prägt an vielen Stellen den Alltag. Wir erleben das, wenn schwarze Mitarbeiterinnen in unsrer Diakoniestation von Familien abgelehnt werden oder wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe keine Wohnung bekommen. Wir sehen das in Fußballstadien, wenn schwarze Spieler durch Affengeräusche und Bananenwürfe verhöhnt werden. Nicht zuletzt zeigen uns die vielen heftigen Reaktionen, die wir gerade erhalten, dass Rassismus in unserem Land ein großes Thema ist.

 

11. Darf es keine Sternsinger mehr geben?

Die Aktion der Sternsinger ist eine wunderbare, die Konfessionen verbindende Aktion der Katholischen Kirche, die wir gerne unterstützen.

 

12. Dürfen sich Kinder nicht mehr verkleiden?

Das römisch-katholische Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ schreibt dazu: „Wir empfehlen, die Kinder nicht zu schminken. Der alte Brauch, dass sich ein Sternsinger der Gruppe schwarz schminkt, ist auf Darstellungen der Heiligen Drei Könige zurückzuführen (...) Deswegen hat dieser Brauch auch nichts mit dem rassistischen „Blackfacing“ zu tun. Dieser bezeichnete die abwertende Darstellung dunkelhäutiger Menschen im 19. Jahrhundert auf Jahrmärkten und Volksbühnen. Gleichwohl geht die Gleichsetzung von Hautfarbe und Herkunft heute nicht mehr auf. Wir glauben, dass der ursprüngliche Sinn der Tradition besser deutlich wird, wenn Kinder als Sternsinger so gehen, wie sie eben sind: vielfältig in ihrem Aussehen.“

 

13. Was erlauben Sie sich überhaupt?

Das wurden wir in den letzten Tagen oft gefragt. Die Kirche hat ein reiches Erbe. Das ist ein großer Schatz. Aber Tradition ist immer vielschichtig. Nicht alles ist gut. Wer seine Geschichte nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Darum müssen wir uns mit unserer Tradition kritisch auseinandersetzen. Dabei sind wir nicht selbstgerecht. Wir wissen, dass wir nicht sind, wie wir sein sollten; aber unsere Vorfahren waren es auch nicht.

 

14. Wie soll es in der Münstergemeinde weitergehen?

Im neuen Jahr werden wir öffentlich in verschiedenen Veranstaltungen und Versammlungen das weitere Vorgehen mit unseren Gemeindegliedern diskutieren.

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