Das Wahlrecht soll sich ändern, schon bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr soll es losgehen. Dann können 16-Jährige nach dem Willen der Landesregierung nicht nur ihre Stimmen abgeben, sondern Politik in Gemeinde-, Ortschafts- und Kreisräten auch selbst im Amt bestimmen und gestalten. Nicht die einzige Änderung, über die der Landtag am Mittwoch (9.45 Uhr) abstimmen will.
Die größte Änderung betrifft das passive Wahlrecht. Wählen dürfen bislang bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg alle Deutschen und EU-Bürgerinnen und -Bürger, die das 16. Lebensjahr vollendet und seit mindestens drei Monaten den Hauptwohnsitz in der jeweiligen Gemeinde haben (aktives Wahlrecht). Selbst kandidieren dürfen sie bislang aber nicht (passives Wahlrecht), hier gilt bislang noch die Altersgrenze von 18 Jahren. Das wird nun angepasst.
Mit einem neuen Wahlrecht für die Städte und Kommunen will Baden-Württemberg jüngeren Menschen den Weg in die Politik ebnen. Das ist auch nötig, wie eine Studie der Hochschule Kehl für Gemeinderäte in den Regierungsbezirken Karlsruhe und Freiburg zeigt: Demnach steigt zwar der Anteil der Jüngeren, doch bleibt der Altersdurchschnitt teils sehr hoch. Nur bei 0,6 Prozent lag 2008 der Anteil der unter 25-Jährigen, zuletzt betrug er 1,8 Prozent. Der Anteil der 25- bis 35-Jährigen hat sich von 3 auf 5,7 Prozent auf geringem Niveau zwar knapp verdoppelt, dagegen ist er bei den zwischen 45- und 55-Jährigen deutlich um 11 Punkte auf 35 Prozent zurückgegangen. In der Altersklasse über 55 legte der Anteil um 15 Prozentpunkte auf 59,2 Prozent zu.
Nein, mit der Reform betritt Baden-Württemberg bundesweites Neuland. Die grün-schwarze Regierungskoalition setzt damit ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um.
Auch bei Bürgermeistern wird es nach dem Willen der Regierung etwas Neues geben. Die bisherige Höchstaltersgrenze für Bürgermeisterkandidaten von 67 Jahren soll ebenso fallen wie die Vorschrift, dass Bürgermeister spätestens mit 73 in den Ruhestand treten müssen, auch wenn ihre Amtszeit zu dem Zeitpunkt noch gar nicht abgelaufen ist. Zugleich sollen Bewerber für die Rathausspitze künftig nicht mehr erst ab 25, sondern bereits ab 18 gewählt werden können.
Beim zweiten Durchgang von Bürgermeisterwahlen soll es eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den höchsten Stimmenzahlen geben, wenn sich im ersten Wahlgang keiner der Bewerber mit mehr als 50 Prozent der gültigen Stimmen durchsetzen konnte. Allerdings kann die Bewerbung nach dem ersten Wahlgang nicht mehr zurückgenommen werden. Anlass sind Wahlen wie Ende 2020 in Stuttgart: Dort hatte die Grünen-Kandidatin Veronika Kienzle als Zweitplatzierte nach dem ersten Wahlgang zurückgezogen, weil sie sich nicht mit den anderen Kandidaten auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den führenden OB-Kandidaten Frank Nopper (CDU) hatte einigen können. Bislang ist ein neuer Wahlgang nötig, bei dem neue Kandidaten antreten können.
Zwei weitere Änderungen sind noch wichtig: So erhalten künftig ehemalige Beamte, Richter und Landesbeschäftigte ein Rückkehrrecht, ihr Arbeitsplatz wird also frei gehalten. Damit will das Land mehr Bewerber für das Bürgermeisteramt gewinnen, das an Attraktivität eingebüßt hat. Die wesentlichen Gründe für viele fehlende Kandidaten – viel Arbeit, schwindendes Ansehen und zunehmende Anfeindungen im Netz – haben allerdings wenig mit der Rückkehr zur früheren Arbeit zu tun. Außerdem sollen künftig wohnungslose Menschen in den Gemeinden, Landkreisen oder dem Verband Region Stuttgart analog zum Landtagswahlrecht auch bei Kommunalwahlen abstimmen dürfen.
Grüne und CDU werben natürlich für ihre Pläne, die aus ihrer Sicht dem Bedürfnis junger Menschen nach Beteiligung entsprechen. Als einzige Oppositionspartei will die SPD das Vorhaben unterstützen. Die FDP lehnt die Absenkung des passiven Wahlalters dagegen ab, auch weil minderjährige Räte nicht alle Aufgaben übernehmen und so «Gemeinderäte zweier Klassen» entstehen könnten. Minderjährige dürfen unter anderem nicht in Aufsichtsräte, sie dürfen auch nicht stellvertretende Bürgermeister sein. Die AfD wirft der Regierung Klientelpolitik vor.
(Martin Oversohl, dpa)