Kind in Handschellen abgeführt: Das sagt der Anwalt der Familie 

Antiziganismus

Zwei Polizisten, die einen Elfjährigen in Handschellen abgeführt haben, haben ihre Einsprüche gegen Strafbefehle des Amtsgerichts Singen zurückgezogen - einen Tag vor dem geplanten Prozessbeginn. Das sagt jetzt der Anwalt der Familie dazu.

Kurz vor dem Beginn des Gerichtsprozesses gegen zwei der vier Singener Beamten, die am 6. Februar 2021 ein elfjähriges Kind in Handschellen auf die Polizeiwache gebracht hatten, zogen diese ihren Einspruch gegen die bereits erfolgten Strafbefehle zurück.

Damit sind die Strafbefehle von je 3600 Euro wegen Freiheitsberaubung und Nötigung gegen die Beamten rechtskräftig, die öffentliche Verhandlung wurde abgesagt.

Das sagt der Anwalt der Familie

Engin Şanlı, Rechtsanwalt: „Es wäre gut gewesen, die Tat nochmal aufzuarbeiten und Angehörigen der Minderheit der Sinti und Roma deutlich zu signalisieren, dass das Fehlverhalten eingestanden wird. Die kurzfristige Einspruchsrücknahme zeigt uns, dass hier nicht verstanden worden ist, dass es nicht ausreicht, die Strafe zu akzeptieren. Bis heute wurde der Familie von dem in Handschellen abgeführten Kind keine Motivation genannt, warum es zu einem solchen Vorgehen gekommen ist. Die Familie möchte Gewissheit haben, dass solche Vorfälle in der Zukunft nicht mehr passieren. Wir schätzen schlussendlich die erfolgte Bestrafung der Beamten seitens der Justiz. Damit steht fest: Ein minderjähriges Kind wurde insbesondere auch wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Sinti und Roma durch Polizeibeamte gegen seinen Willen und ohne Rechtsgrundlage der Freiheit beraubt und schließlich dazu genötigt, in ein Polizeiauto einzusteigen. Es wurde aufs Revier gebracht, und die Erziehungsberechtigten wurden darüber nicht einmal informiert. Die Aufgabe der Sicherheitsbehörden und Politik ist, solchem Verhalten vorzubeugen.“

Das sagt der Landesverband der Sinti und Roma Baden-Württemberg

Daniel Strauß, Vorsitzender des VDSR-BW: „Ein öffentlicher Prozess hätte den Antiziganismus – die mutmaßliche Motivation der Tat – aufgearbeitet. Dieser Aspekt fehlt vollkommen in der Verurteilung der Konstanzer Staatsanwaltschaft. Wir begrüßen dennoch, dass es zu einem Urteil gegen alle vier Beamten gekommen ist.“

Hintergrund

Der Landesverband der Sinti und Roma Baden-Württemberg schreibt in einer Mitteilung folgendes über die Hintergründe:

„In einem Hochhaus in Singen (Kreis Konstanz) hatten Anfang Februar 2021 zwei Kinder auf einem Balkon im Treppenhaus gespielt. Als zwei Polizeibeamte Auskunft über die Personalien verlangten, wurde eines der Kinder gefragt, ob es von „der Zigeunerfamilie“ sei. Zwei weitere Kinder wurden währenddessen von zwei Beamten vor dem Haus befragt. Als die zwei Beamten das Hochhaus verließen, nahmen sie erneut die Personalien der Kinder auf, die unten vor dem Haus gespielt hatten. Hierbei wurde eines der Kinder sinngemäß mit den Worten „Einer von den Zigeunern, die kennen wir ja“, „Du kommst eine Nacht hinter Gitter“ und „Der Tod kommt dich holen“ bedroht. Ohne ersichtlichen Anlass führten die Beamten daraufhin einen elfjährigen Jungen in Handschellen ab. Das Kind wurde im Verhörzimmer festgehalten und später alleine nach Hause geschickt. Die Mutter hatte vergeblich auf der Polizeiwache angerufen und keine Auskunft erhalten. Auch im Nachgang hat die Mutter keine Auskunft erhalten, warum ihr Kind auf der Wache festgehalten wurde.“

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