Polioviren auch in Abwasser in Baden-Württemberg entdeckt

Poliomyelitis (Kinderlähmung) gilt dank der Impfung in den meisten Ländern als nahezu ausgerottet. Die Entdeckung von Polioviren in deutschem Abwasser bereiten Experten Sorgen.

Nach dem Fund von Polioviren in München, Bonn, Köln, Hamburg, Dresden, Düsseldorf und Mainz sind die Erreger auch in Proben aus Baden-Württemberg nachgewiesen worden. Positive Tests gab es nun auch aus einem Klärwerk in Stuttgart, teilte das Robert Koch-Institut (RKI) mit. Auch Proben aus Berlin seien positiv ausgefallen.

Die zwei Städte seien zusammen mit Frankfurt am Main neu in die Testungen aufgenommen worden. Die Nachweise stammen aus dem Zeitraum zwischen Anfang November (Berlin) und Anfang Dezember 2024 (Stuttgart).

Ausgeschiedene Viren nach Schluckimpfung

Bei den Erregern handelt es sich demnach nicht um den Wildtyp des Poliovirus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung gegen Kinderlähmung mit abgeschwächten, aber lebenden Polio-Erregern zurückgehen. Die abgeschwächten Impfviren können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden und weiterverbreitet werden. Sie haben sich so verändert, dass sie unzureichend geimpfte Menschen potenziell krank machen können. Die Schluckimpfung wird in Deutschland nicht mehr genutzt.

Es sei nach wie vor unklar, ob die Viren aus dem Ausland eingeschleppt worden seien oder ob in Deutschland bereits eine Übertragung stattgefunden habe, erklärte das RKI. Ausgeschlossen sei eine solche Übertragung nicht. Verdachtsfälle auf die Krankheit seien bisher aber weder in Deutschland noch in anderen betroffenen Ländern in Europa bekannt.

Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) forderte die Bürger dazu auf, ihren Impfschutz zu überprüfen und falls nötig Impfungen nachzuholen. «Um mögliche Fälle von Kinderlähmung zu verhindern, müssen Impfserien möglichst zeitnah abgeschlossen und bestehende Impflücken vor allem bei Säuglingen und Kindern dringend geschlossen werden», sagte Lucha. Man beobachte die Lage im Südwesten genau.

Positive Proben in anderen europäischen Ländern

In Spanien, Polen, Großbritannien und Finnland wurden kürzlich ebenfalls Polioviren in Abwasserproben entdeckt, wie am Donnerstag in der Fachzeitschrift «Eurosurveillance» berichtet wurde. «Es ist unklar, wie viele Länder Europas betroffen sind, da Abwassertestungen auf Polioviren nur in 23 der 53 Länder der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführt werden», so das RKI.

In Deutschland hatte das RKI am 28. November 2024 erstmals über Nachweise von Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren im Abwasser berichtet. Die deutschlandweit letzten positiven Proben wurden den Experten zufolge Mitte Dezember in Köln, Bonn und Düsseldorf entdeckt. Allerdings stünden die Ergebnisse von Proben, die über den Jahreswechsel genommen worden seien, noch aus.

Stiko: Versäumte Impfung schnell nachholen

Polio ist eine Infektionskrankheit, die im schlimmsten Fall bei nicht ausreichend geimpften Personen dauerhafte Lähmungen hervorrufen oder auch zum Tod führen kann. Verbreitet wird das Virus oft über verunreinigtes Wasser. Eine Therapie dagegen gibt es bisher nicht. Die Krankheit konnte durch Impfkampagnen in den meisten Ländern der Welt ausgerottet werden.

Die aktuellen Nachweise seien eine Erinnerung daran, dass auch bereits poliofreie Regionen nicht vor einem Wiedereintrag von Polioviren geschützt seien, erklärte das RKI. «Eine vollständige Impfserie mit einer Poliomyelitisimpfung schützt effektiv vor der Erkrankung.» Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt für alle Kinder im ersten Lebensjahr drei Impfstoffdosen. Im Alter von 9 bis 16 Jahren sollte eine Auffrischungsimpfung erfolgen. Angesichts der aktuellen Lage sollten versäumte Impfungen schnellstmöglich nachgeholt werden.

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