Spannender Auftakt: Ulm diskutiert über Rassismus

Rund 160 Menschen jeden Alters sind zu der Podiumsdiskussion um den umstrittenen Kampagnenfilm der Stadt Ulm in die Ulmer Volkshochschule gekommen. Der Diskussion fehlte es vielleicht an Schärfe, sie muss aber als Auftakt zu weiteren Veranstaltungen gesehen werden. Deshalb war sie richtig und wichtig.

Ein sehr großes Fass wurde heute im knallvollen Club Orange der Ulmer Volkshochschule aufgemacht: Wo steht Ulm in Zeiten des Rechtsrucks in der Gesellschaft? Warum zeigt der Kampagnenfilm „Ulm – wir sind alle Vielfalt“ einen Neo-Nazi als Hauptfigur? Wie begegnet man Menschen mit rechtsradikaler Tendenz und wie kriminellen Faschisten? Auf all diese Fragen sollte heute Abend eine Antwort gefunden werden. Das war, ganz klar, nicht einfach.

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen in der vh ulm

Anlass war eben dieser Kampagnenfilm (siehe unten) mit einem Neo-Nazi. Der ist als solcher durch das Symbol der „Schwarzen Sonne“ als Tattoo auf dem Hals des Schauspielers klar dargestellt. Das hat für viel Ärger gesorgt, in der Stadtgesellschaft und in den sozialen Medien.

Die Forderung den Film aus dem Netz zu löschen war laut, aber das hätte das Problem nicht gelöst. Die Stadt Ulm hat Behauptungen, sie sympathisiere deswegen mit Rechtsextremen, auch direkt und entschieden zurückgewiesen. Ulms OB Czisch und auch der Regisseur des Films sind mit Beschimpfungen, Drohungen, wüsten Mails und harten Kommentaren überschüttet worden. Eine sachliche Kritik ging dabei unter.

Aufgrund einiger Drohungen, es sollen Morddrohungen darunter gewesen sein, wurden am Abend in der Volkshochschule zwei Seminarräume zu Garderoben umgewandelt. Der Club Orange durfte nicht mit Mantel oder Rucksack betreten werden. Eine wahrscheinlich einmalige Sicherheitsmaßnahme dort. Und eine sehr traurige zudem, schließlich gründet sich die vh ulm auf Inge Aicher-Scholls‘ Gedenken an ihre vom Naziregime ermordeten Geschwister Hans und Sophie Scholl.

Geladene Stimmung

Auf der Bühne des Club Orange sprachen darüber heute Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch, Nicola Wenge vom Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Sybille Thelen von der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg, Frank Buchheit vom Landeskriminalamt Stuttgart und auch der Regisseur des Kampagnenfilms, Hosam Sidou Abdulkader (Cinematicz Filmproduktion). Moderiert hat Christoph Hantel, der Leiter der Ulmer Volkshochschule, der seine Aufgabe souverän gemeistert hat, indem er dem harten Thema immer wieder einen auflockernden Moment geben  konnte. Die Stimmung war doch schon auch geladen.

„Wir müssen raus und mit den Menschen reden.“

OB Czisch hat direkt zu Anfang klargestellt, dass einer solchen Thematik nur ein „Diskurs mit Qualität und Quantität“ begegnet werden kann. Das Thema ist ja auch nicht an einem Abend erschöpft. Die Stadt will mit der Runde heute eine ganze Reihe eröffnen, die von der „Koordinierungsstelle Ulm Internationale Stadt“ organisiert auch weitergeführt wird. Die hat erst den Zuschlag für das Projekt „Vielfalt Leben in Ulm in der einen Welt“ erhalten (der Film Teil davon).

OB Czisch steht auch klar hinter dem Film und der Message der „Menschlichkeit und des Miteinander“. Er will auch solche Menschen damit abholen, die aus der rechten Szene aussteigen wollen, oder sich aus Missverständnis oder fehlender Bildung mit rechten Gedanken befassen: „Wir müssen raus und mit den Menschen reden.“ Es darf kein Totschweigen geben, es muss eine demokratische Diskussion her. Kriminelle Rechtsradikale dagegen müssen aber ganz klar der Justiz zugeführt werden und mit aller Härte des Gesetzes bestraft werden, so Czisch.

Das Symbol der „Schwarzen Sonne“ war unnötig

Ansonsten wurde der Film selbst im Grunde nur immer wieder aufs Neue erklärt. Auch der Regisseur Hosam Sidou Abdulkader hat sein Werk klar verteidigt, es aber auch intellektuell sehr verschönert. Wer seine Message nicht versteht, der sei quasi selber Schuld. Eine, wenn auch nur kleine Entschuldigung kam nicht, von keiner Seite. „Die Menschen nicht zu verletzen würde bedeuten, die Sache nicht in dieser Klarheit zu zeigen.“, so der Regisseur. Man muss ihm aber den Mut zusprechen, sich dieser Diskussion gestellt zu haben. Es wurde „Scheisse über ihm ausgeschüttet“, die Anfeindungen aufgrund seines Filmes gingen bis tief ins Private. So auch bei OB Czisch. Beide sind ebenso verletzt worden, wie so manch ein Rezipient dieses Filmes.

Stilkritik kam von Sybille Thelen von der Landeszentrale für Politische Bildung. Das Symbol der „Schwarzen Sonne“ sei unnötig gewesen. Trotzdem freut sie sich darüber, dass der Film diese kontroverse Diskussion erst ausgelöst hat. Ihren Ausführungen hat sich Frank Buchheit vom Landeskriminalamt Stuttgart weitgehend angeschlossen. Der Ausstieg aus dem Rechtsextremismus sei für viele nicht einfach, selbst wenn sie es wollen, in deren Richtung müsse mehr gearbeitet werden. Das würde dieser Film auf seine Weise tun.

„Es gibt keinen Platz für Nazis in der Stadt der Geschwister Scholl“

Nicola Wenge vom Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg findet die breite Diskussion auch sehr wichtig, auch deren Fortführung in allen Teilen der Gesellschaft. Die sachliche Ebene, die sachliche Kritik, die war und ist ihr wichtig, hat ihr an diesem Abend etwas gefehlt. Die Debatte über den Film sei vorab ja unglaublich emotional geführt worden, in der Gesellschaft wie auch im Stadtrat unter den Gemeinderäten und in den sozialen Netzwerken.

Wenge hat zum Abschluss den größten Applaus mit dem Satz „Es gibt keinen Platz für Nazis in der Stadt der Geschwister Scholl“ geerntet. Auch nicht für deren Symbole. Das hat gesessen.

Ein Auftakt, der nachhallt

Der Film und der Abend hat einen Nerv getroffen. Der liegt jetzt frei und es wird darüber offen gesprochen. Das Publikum hat die Diskussion heute durchwachsen erlebt. Stimmen von „wischiwaschi“ über „das waren nur verteidigende Phrasen“ bis „es ist einfach ein verdammter Nazi in dem Film“ haben es wohl doch größtenteils auch leicht enttäuscht wieder gehen lassen.

Und ja, es fehlte vielleicht an der nötigen Schärfe. Aber es war ein mutiger, wenn auch später Auftakt, der seine Fortsetzung sucht. Deswegen war der Abend am Ende doch noch ein sehr gelungener, ein wichtiger, der nachhallen wird!

Fortsetzung folgt.

Hier sehen Sie den Kampagnenfilm, um den es sich dreht, darunter Bilder des Abends:






Film: Stadt Ulm / Fotos: DONAU 3 FM

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