Ulmer Jugendorganisationen fordern Umbenennung der Mohrengasse

Fünf Ulmer Organisationen fordern in einem offenen Brief die Umbenennung der Mohrengasse. Der Umbenennungsausschuss hat sich erst dagegen entschieden. Im Vorfeld ist dazu eine hitzige Diskussion in der Stadtgesellschaft entbrannt.

In der hitzigen Diskussion um die Umbenennung der Ulmer Mohrengasse haben sich jetzt fünf Ulmer Jugendorganisationen (Earthlings Ulm, Kollektiv.26, Grüne Jugend, Jusos Ulm, Mein ich gegen Rassismus) zusammengeschlossen und einen offenen Brief an die Stadtspitze geschrieben. Sie verlangen darin die Mohrengasse doch noch umzubenennen und sich nicht an Traditionen zu klammern, die rassistische Stereotype unterstützen. So heißt es in dem Brief, den sie weiter unten komplett lesen können. Ende September hat sich der Ulmer Umbenennungsausschuss nach langen Diskussionen letztlich entschlossen, die Gasse nicht umzubenennen. Stattdessen soll ein Hinweisschild zur Entstehung des Straßennamens angebracht werden. Die Mohrengasse liegt in Ulm zwischen Schwörhaus und Rathaus.

Offener Brief für die Umbenennung der "M-Gasse"

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,

wir, ein Zusammenschluss von mehreren Organisationen aus Ulm, haben mit großem Bestürzen festgestellt, dass sich viele Gemeinderät*innen gegen die Umbenennung der M-Gasse aussprechen.

Wir wissen, dass laut dem Ulmer Stadtarchiv die Gasse diesen Namen nach der Gaststätte „Zu den M*“ abgeleitet wurde, die sich wiederrum bei diesem Namen vermutlich von der Mohrenapotheke hat inspirieren lassen, die bereits 1558 vor der deutschen Kolonialzeit bestand. Die historischen Wurzeln der Belegung des Wortes reichen bereits bis ins 8. Jahrhundert zurück und bezeichnete zunächst Bewohner*innen des antiken und mittelalterlichen Nordafrikas. Aber auch schon verallgemeinert wurde dieser Begriff für Menschen mit dunkler Hautfarbe seit dem 16. Jahrhundert verwendet. Das Wort geht sowohl auf das lateinische „maurus“ zurück, das für „dunkel“, „schwarz“ und „afrikanisch“ steht, als auch auf das griechische „moros“, was etwa „töricht“ und „dumm“ bedeutet. Jedoch ist das Wort heutzutage laut Kommunikationsexpert*innen eindeutig negativ konnotiert und kann als Diskriminierung und rassistischer Ausdruck eingeordnet werden. Wichtig für diese Einordnung ist, wie er verwendet wurde. Ab dem 11. Jahrhundert wurde der Begriff „Hellmöhr“ für den Teufel verwendet. Der Begriff „M.-Wäsche“ wurde lange Zeit verwendet, wenn eine offensichtlich schuldige Person mit fadenscheinigen Beweisen „reingewaschen“ wurde. In Angesicht dieser sprachgeschichtlichen Entwicklungen und unserer deutschen Kolonialgeschichte, so wird deutlich, dass in diesem Wort unter anderem der historische Ballast von Schuld, Hölle und Versklavung steckt. Der Begriff war schon immer eine Fremdbezeichnung und reproduziert unweigerlich in uns allen rassistische Stereotypen, da wir in unserer Gesellschaft nach einem eurozentrisches Weltbild geprägt sind. Schließlich wurden das M-Wort und das N-Wort als Synonyme verwendet: Für Menschen, die dazu da seien, Weißen Menschen zu dienen. Davon haben sich diese Begriffe nie emanzipiert. Wir können uns in einer Stadt nicht wohlfühlen, die sich internationale Stadt nennt und gleichzeitig die Stimme von BPoC (Black People of Color) ignoriert und nicht respektiert. Ein zu sehr großen Teilen mehrheitlich weißer Gemeinderat, der von Rassismus und Diskriminierung nicht betroffen ist, überhört die Stimmen von BPoC, die sich in letzter Zeit an die Öffentlichkeit getraut haben und die Aufarbeitung fordern. Bei den „Black lives matter“-Demos in Ulm hat sich gezeigt wie viele BPoC und „allies“ (aktive Verbündete) in Ulm leben. Wenn Menschen mit Rassimus- und Diskriminierungserfahrung Dinge als rassistisch einordnen, dann müssen Menschen, die diese Erfahrungen aufgrund ihres Aussehens nie machen werden, entsprechende Forderungen respektieren. Wir wissen, dass eine solche Maßnahme das rassistische Gedankengut, das in unserer Gesellschaft existiert, nicht wett machen wird. Aber es ist ein Puzzleteil, das dazu gehört um Rassismus gesellschaftlich aufzuarbeiten und zu verlernen. Wir wollen auf unserer Stadtkarte und in unserem Stadtbild eine solch rassistische Bezeichnung nicht sehen. Wieso klammert man sich an Traditionen, die rassistische Stereotype unterstützen? Wir sollten lieber an neuem weltoffenem Erbe arbeiten. Letztendlich stehen wir als Gesellschaft vor der Frage welche Bedeutung schwarze Leben für uns haben. Jede undeutliche oder inkonsequente Haltung gegen Rassismus, ist automatisch eine Position. Und zwar eine solche, die nicht antirassistisch sein kann. Antirassismus bedeutet nicht nur über Rassismus selbst zu sprechen, sondern in allen politischen Bereichen rassismuskritische Perspektiven zu berücksichtigen und damit Intersektionalitäten sichtbar zu machen. Deshalb fordern wir Sie auf, die Forderungen von Betroffenen in den Fokus zu stellen und die M-Gasse umzubenennen, damit wir uns alle in Ulm zuhause fühlen können.

Mit freundlichen Grüßen
Earthlings Ulm, GRÜNE JUGEND Ulm, Jusos Ulm, Kollektiv.26, Mein Ich gegen Rassismus

Eine Demonstration im Juni 2020 auf dem Ulmer Münsterplatz

Esra Oneli, Vorstandsvorsitzende des gemeinnützigen Ulmer Vereins, Mein Ich gegen Rassismus, welcher innerhalb der letzten fünf Monate von null auf hundert,  mit Rechtsbeiständen, Therapeuten, und einem Bildungsplan, aus dem Boden gesprossen ist, ergänzt:

Die Umbenennung der Mohrengasse ist keine politische Debatte. – Es ist eine Frage der Menschlichkeit und der Nächstenliebe! Es ist die Frage an uns alle, welche Art der Gesellschaft wir repräsentieren wollen.

Und wir alle sind damit an dem Punkt angelangt, an dem wir entscheiden können, ob unsere Werte, wie Mitgefühl, auf die wir uns ständig berufen, nicht mehr sind als blanke Heuchelei, oder, ob wir tatsächlich hinter diesen Tugenden stehen und gemeinsam ein Zeichen für Menschlichkeit in unserer Gemeinschaft setzen wollen.

Wir können unseren Kindern und den kommenden Generationen nicht glaubhaft vermitteln, dass man etwas zu unterlassen hat, wenn es einen anderen Menschen verletzt, wenn wir selbst nicht dazu imstande sind es vorzuleben.

Doch auf diesem Weg befinden wir uns gerade mit der Debatte um die Umbenennung der Mohrengasse. – Wenn wir, aus haltlosen Gründen, auf einem Namen bestehen, der unzählige Mitbürger emotional schwer verletzt, und der durchweg rassistisch ist, da er bereits in seinem Ursprung als Beleidigung erdacht wurde, welches Zeichen setzen wir damit?

Der Begriff "Mohr" geht ausschließlich, wie im Brief erwähnt, auf rein menschenverachtende Motive zurück und verzeichnet nicht eine positive Interpretation. - Dass diese Debatte überhaupt erst existiert, ist eine gesellschaftliche Schande. "Das bricht dir doch keinen Zacken aus der Krone" diese Redewendung ist so etabliert und so geläufig, dass sich jeder vorstellen kann wie man ihn auf diese Problematik hier anwenden kann. Die Redewendung sagt, dass  man einem anderen Menschen etwas problemlos zugestehen könnte, wenn es einem nicht selbst schadet. So wird wohl kaum ein weißer, normal denkender Bürger voll Wehmut und mit Tränen in den Augen einen neuen, angemesseneren Straßennamen, betrachten und dabei Schmerz fühlen.

Ein schwarzer Mitbürgern jedoch fühlt, wenn er diese aktuelle Beschilderung betrachtet Beschämung, Wut, und Frustration, er fühlt das Leid unzähliger vergangener Generationen auf seinen Schultern und die Sorge um zukünftige Leben. Also, warum sollte man jemand anderen etwas nicht zugestehen, wenn es einem selbst keinen Zacken aus der Krone bricht? Dafür gibt es keinen nachvollziehbaren Grund! Dieses kleine "1×1 des Miteinanders", das so simpel wie gleichermaßen logisch ist, steht nun - gemeinsam mit unserer humanitären Wahrhaftigkeit - auf dem Prüfstand. Denn anscheinend gilt dies nur, wenn in der Rechnung alle beteiligten Parteien weiß sind. Wir sind als humane Gesellschaft nicht authentisch, wenn wir Empathie und Mitgefühl einer Ethnie vorenthalten! Darum geht es. Es geht um die Frage, wer wir sein wollen, als Ulmer /Ulmerinnen, als Menschen. Es ist also eine Frage der Identität! Und eben diese Identität wird oft als Argument von Gegnern der Umbenennung angeführt. Es "gehöre dazu", zum Stadtbild, zur Geschichte. Doch wollen wir uns tatsächlich mit unseren barbarischen Grausamkeiten in der Geschichte rühmen? Wollen wir darauf stolz sein? Wollen wir wirklich auf einem Namen bestehen, der in den schwarzen Menschen unserer Gemeinschaft Leid auslöst, da dieses Wort für sie geprägt ist von Schmerz, Verachtung, Folter, Tod und Sklaverei? Wollen wir ein Wort in unserer Gesellschaft tolerieren, das auch in weißen Nicht-Rassisten eine fürchterliche Beklemmung auslöst, und ein Wort auf einem Strassennamen, Erklärungsschild hin oder her, dort stehen haben, das in seiner Essenz für nichts anderes steht, als dass schwarze und weisse Leben immer noch nicht den gleichen Schutz verdienen? Ist dies eine erstrebenswerte Identität? 

Ulms Bezug zum Wort Mohr reicht wie gesagt, mit April 1558, vor die Kolonialzeit. Man könnte nun mutmaßen, dass allein der Ursprung des Wortes im Grunde ausreichend genug wäre, um einer Umbenennung zuzustimmen. Sicherlich hat jedoch spätestens die Kolonialzeit ihren erheblichen Teil dazu beigetragen, dass eine humane Identifizierung mit diesem Begriff, auch aus geschichtlicher Perspektive, heute nicht mehr mit unseren Grundgesetzen und unseren moralisch aufgeklärten Werten zu vereinbaren ist. - Und hier sind wir immer noch bei der Identität. Wir sind doch stolz auf unsere Rechte, die jedem Würde und Schutz versichern. - Und wir nutzen unsere moralischen Vorstellungen doch gerne als Aushängeschild für uns als Personen. Wie könnten wir dann mit guten Gewissen unsere Identität auf eine Epoche stützen, die geprägt ist von menschenverachtenden Gesetzen und fehlendem Mitgefühl, fehlender Menschlichkeit? Dies sollte einen Anreiz zum Nachdenken geben. -Die Frage bleibt also nicht "Was war einmal!?" und "Reicht ein erklärende Schild aus?", sondern "Wie soll unsere Identität heute aussehen?" und wollen wir alle in unserem Spiegelbild auf Heuchelei treffen. Die Umbenennung der Mohrengasse ist keine politische Debatte. – Es ist eine Frage der Menschlichkeit und der Nächstenliebe!"

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