Eine Passantin in der Unterführung rümpft die Nase und beschwert sich über den Gestank. Die Zitronensäure ist deutlich in dem Tunnel unter der Haßlerstraße in Ulm zu riechen und sie weißt auf ein Projekt für jugendliche Straftäter hin.
Während Erwachsene nach einer Straftat mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe betraft werden, stellt das Jugendstrafrecht für die 14 bis 21 Jahre alten Heranwachsenden den Erziehungsgedanken in den Mittelpunkt. So gibt es einen ganzen Strauß an möglichen Erziehungsmaßnahmen, die von Verwarnungen bis zum Arrest reichen, bevor mit der Jugendstrafe eine klassische Haftstrafe verhängt wird. Neben einem Täter-Opfer-Ausgleich durch Arbeit oder Schadenersatz kann ein Richter auch eine Arbeitsleistung auferlegen, die im Volksmund Sozialstunden genannt werden.
Vier Jugendliche stehen vor den Fließen der Unterführung, eingehüllt in Einweg-Schutzanzüge, dicke Gummihandschuhe, Schutzbrille und eine Filtermaske vor dem Gesicht, um vor der Zitronensäure zu schützen. Stundenlang wird geschrubbt, die Wand eingesprüht und weiter geschrubbt. Dicker Farbauftrag wird mit einer Spachtel abgekratzt, dann wird wieder geschrubbt, bis die Wand sauber ist. „Es ist ein bisschen anstrengend“ gibt der 15-jährige Robin (Name geändert) zu, aber es macht ihm auch „Spaß mit Kollegen zu arbeiten“. Seine Kollegen sind andere Jugendliche, die auch zu diesem Arbeitseinsatz verurteilt wurden. Und er trägt die Konsequenzen seiner Straftat: „Ich muss halt das machen, was ich verdient habe.“
Die Jugendlichen schweigen auf die Frage nach den Vergehen, die sie in die Unterführung gebracht haben. Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger erklärt es allgemeiner. Es sind die alterstypischen Straftaten, die begangen worden sind. Weniger die Gewaltdelikte, aber Ladendiebstähle, Schwarzfahren oder auch kleinere Drogendelikte, die diese Arbeitsstunden nach sich ziehen.
Die Arbeitsstunden in der Unterführung sind dann auch mehr als nur Wände schrubben, um sie von Schmierereien zu befreien. Begleitet werden die Jugendlichen von pädagogischen Mitarbeitern der Anderen Baustelle, die sich überwiegend um Jugendberufshilfe kümmert. Die Sozialarbeiter kommen in den Pausen mit den jungen Leuten ins Gespräch und können so oft die Wege nachvollziehen, warum es zur Straftat kam. Partnerschaftlich wird dann das Bewusstsein für die Spielregeln in einer Gesellschaft geweckt, das geht manchmal schon ganz einfach damit los, pünktlich um halb neun Uhr morgens zur Arbeit zu erscheinen. Und das mitten in den Schulferien.
Ein Großteil der Unterführung unter der Haßlerstraße und der Illerstraße ist bereits gereinigt, doch am anderen Ende sind schon wieder neue Schmierereien. Das ärgert auch die jungen Leute, die so mühsam die Wände geschrubbt haben: „Es steckt kein richtiger Sinn dahinter“ findet Robin. Das Projekt nennt sich bewusst „Lost Graffiti“ und nicht „Anti Graffiti“, denn man möchte auch nicht die Kunstform Graffiti verunglimpfen.
Im Haus des Jugendrechts in der Schaffnerstraße sitzen Polizei, Staatsanwaltschaft und Stadt Ulm in einem Gebäude zusammen, um jugendliche Straftäter von der ersten Vernehmung bis zur Verbüßung einer Strafe zu begleiten und zu motivieren, sich zukünftig regelkonform zu verhalten. Doch das Haus des Jugendrechts macht auch Angebote vor einem Fehlverhalten, so gibt es auch Rechtsberatung für Jugendliche, beispielsweise rund um Handyverträge.