42. Biberacher Filmfestspiele sind Geschichte

Die 42. Biberacher Filmfestspiele sind Geschichte. In vielerlei Hinsicht. Sie sind das letzte Filmfest vor dem Lockdown und das letzte in diesem Jahr - und eines der wenigen, die vor Ort im Kino stattgefunden haben - und nicht im Internet. Und es gibt unter den Gewinnern einen echten Abräumer.

Den Goldenen Biber hat der Spielfilm „Und Morgen die ganze Welt“ gewonnen. Ein Film um die Antifaschistische Szene in Deutschland, der auch im Rennen um die Nominierung zum fremdsprachigen Oscar in Hollywood ist. Der Abräumer des Festivals ist aber „Notes of Berlin“, der gleich drei Preise gewonnen hat: Publikumspreis, Schülerpreis und Bester Debütspielfilm.

Unter den Juroren für den Hauptpreis war auch Dieter Kosslick, der 18 Jahre lang Intendant der Berlinale war. Für ihn haben die 42. Biberacher Filmfestspiele unter den gegebenen Umständen historischen Charakter: Sie sind das letzte Filmfest vor dem Lockdown und das letzte in diesem Jahr - und eines der wenigen, die vor Ort im Kino stattgefunden haben - und nicht im Internet. Einzig die Preisverleihung hat letztlich doch nur online und nicht in der Biberacher Stadthalle stattgefunden.

Alle Gewinner der 42. Biberacher Filmfestspiele

1. Publikums Favorit (Publikums-Biber)
Gestiftet von der Biberacher Werbegemeinschaft e.V.
dotiert mit 2.000 €
Gewinner: „Notes of Berlin“ von Mariejosephin Schneider
Begründung: Nach vielen tollen Filmen waren wir uns doch sehr schnell einig welcher Film die Auszeichnung
heute erhält. Der Film hat uns durch die Vielseitigkeit und die besondere Grundidee überzeugt. Es ist eine
temporeiche Erzählung, die den Zuschauer sofort mitnimmt. Er ist voller Überraschungen, hat viele witzige
Momente und regt den Zuschauer trotzdem zum Nachdenken an. Es werden verschiedene Schicksale und
Charaktere in besonderen, aber auch alltäglichen Lebenssituationen gezeigt. Trotzdem ergibt es eine stimmige
Geschichte, da sich Handlungsstränge immer wieder treffen. Aus diesen Gründen verleihen wir den Publikumsbiber
dieses Jahr an den Film „Notes of Berlin“.
(Publikumsjury: Almut Krämer, Elena Paul, Willi Fritz, Daniela Messmer, Olaf Krebs)

2. Schüler Favorit (Schüler-Biber)
Gestiftet von der Kreissparkasse Biberach
dotiert mit 3.000 €
Gewinner: „Notes of Berlin” von Mariejosephin Schneider
Begründung: Unser Preis geht an einen Film, der uns in vielerlei HInsicht begeistert hat. Er spiegelt den
Großstadtalltag mit seinen vielen Facetten wider. Dabei werden aber nicht nur witzige Momente, bei denen
der ganze Saal lachte, beleuchtet, sondern auch Probleme, die das Leben in einer Großstadt mit sich bringt.
Das wird durch eine großartige Kameraführung und flüssige Übergänge unterstrichen, sodass man von Anfang
an ins Geschehen eintaucht und dieses auch nicht mehr verlässt. Trotz vieler verschiedener Szenen und
Ereignisse ist ein roter Faden deutlich zu erkennen.
(Schüler-Jury: Silvia Haller, Felix Kreißig, Constantin Ruppel)

3. Bester Schnitt (Sonderpreis Adrian)
Gestiftet von Volksbank Ulm-Biberach
dotiert mit 2.000 €
Gewinner: „Und morgen die ganze Welt“ (Spielfilm) von Julia von Heinz, montiert von Georg Söring.
Begründung: Der herausragende Schnitt nimmt die ZuschauerInnen von der ersten Minute an an die Hand und
führt auf eindrucksvolle Weise, mit einem außergewöhnlichen Verständnis für pointierte Erzählung, durch die
erschreckend aktuelle Geschichte.Georg Söring verleiht dem Film mit einem unglaublich sicheren Gespür für
Zeitdehnung, Zeitraffung, Takt, Rhythmus und Tempi, großteils auf Musik verzichtend, einen Sog, dem die Jury
sich bis zuletzt nicht entziehen konnte.
(Sonderpreis-Jury: Julian Cohn, Sigrid Klausmann, Christian Schiesser)

4. Bester Kurzspielfilm (Kurzfilm-Biber)
Gestiftet von der Film Commission Region Ulm
dotiert mit 2.000 €
Gewinner: „Die letzten fünf Minuten der Welt“ von Jürgen Heimüller
Begründung: Mit Humor und Leichtigkeit beweist uns dieser Kurzfilm, wie wenig es braucht, um mit einer bis in
den Kern ausgeloteten Idee und konsequenter Erzählweise die Apokalypse auf einer Holzbank mit Dosenbier
zu inszenieren.Im Angesicht der unausweichlichen Katastrophe spielt er mit banalem menschlichen Versagen
und Ängsten. Eine hervorragende Ensembleleistung, die mit grosser Spielfreude und perfektem Timing in nur
einer einzigen Einstellung eingefangen wird. Der Preis für den besten Kurzfilm geht an „Die letzten fünf Minuten
der Welt“ von Regisseur und Autor Jürgen Heimüller.
(Kurzfilm-Jury: Christian Werner, Nina Marie Kubitzek, Ferdinand Ascher)

5. Bester Mittellanger Spielfilm (U60-Biber)
Gestiftet von Steuerkanzlei Kaufmann
dotiert mit 1.000 €
Gewinner: „Girl meets Boy“ von Ferdinand Arthuber
Begründung: Der Regisseur und Autor überführt die same old „Boy meets Girl“ Story in ein düsteres Großstadtmilieu, in dem sich zwei vom Leben enttäuschte Figuren treffen, wunderbar durch Franziska Weisz und Carlo Ljubek verkörpert. Ferdinand Arthuber bricht mit erwartbaren Mustern des Liebesfilms in jeder Szene aufs neue und fordert uns damit heraus. Dabei versteht er es eine feine Balance zwischen Intimität und leisem Humor zu schaffen. Ein Film der uns im Herzen trifft und uns nicht mehr loslässt - toll!
(U60-Jury: Christian Werner, Nina Marie Kubitzek, Ferdinand Ascher)

6. Bester Dokumentarfilm (Doku-Biber)
Gestiftet von Fa. LIEBHERR
dotiert mit 3.000 €
Gewinner: „Was tun“ von Michael Kranz
Begründung: Inspiriert von einer Szene aus Michael Glawoggers Dokumentarfilm „Whore‘s Glory“, wo ein 15-jähriges Mädchen über ihr Leid als Zwangsprostituierte in Bangladesh klagt, macht sich der Regisseur vor Ort auf die Suche nach der Frau, der er helfen möchte. Von Beginn an reflektiert er im Off-Text über seine Betroffenheit, aber auch über die scheinbare Unmöglichkeit seines Unterfangens und seine Zweifel an der Rolle, die er selbst bei diesem Filmprojekt einnimmt. Die Reise ins Ungewisse läßt die Zuschauer eintauchen in eine Welt voller Armut, Abhängigkeit und Menschenverachtung. Michael Kranz kommt seinen Protagonist*innen sehr nahe, in manchen Szenen hätten wir uns etwas mehr Distanz gewünscht. Am Ende findet er das Mädchen, und es gelingt ihm, vereinzelt Hoffnung zu geben. In seiner Erzählform ein ungewöhnlicher Film mit persönlicher Haltung, der uns auch über die Rolle der Dokumentarfilmer*innen nachdenken läßt.
(Dokumentarfilm-Jury: Sibylle Tiedemann, Douglas Wolfsperger, Klaus Peter Karger)

7. Bester Debütspielfilm (Debüt-Biber)
Gestiftet vom Landkreis Biberach und der OEW
dotiert mit 3.000 €
Gewinner: „Notes of Berlin” von Mariejosephin Schneider
Begründung: „Notes of Berlin“ ist ein Episodenfilm, inspiriert vom Hype um den gleichnamigen Blog erzählt er voller Zuneigung von Berliner Charakteren, die man sonst gerne mal übersieht. Es sind Geschichten aus Berlin voller Leichtigkeit, die auf Zetteln an Bäumen beginnen und in Episoden weitererzählt werden, sie handeln von Verlust, Suchen und Finden nach Liebe, nach Freundschaft und Anerkennung. Spielt irgendwo zwischen Clubnacht und Wohnungsnot, zwischen alltäglichem Irrsinn und natürlichen Begegnungen. Diese Episoden sind ein kollektives Abbild der Menschen in einer Stadt, die gemeinsam rhythmisch durch die Zeit gehen, sich wandeln, sich vereinen und miteinander wachsen, passend zum Vorwort des Films: Das Herz einer Stadt schlägt auf der Strasse.
(Debütspielfilm-Jury: Martin Blankemeyer, Silvia Häselbarth, Savas Ceviz)

8. Bester Fernsehfilm (Fernseh-Biber)
Gestiftet von Hans W. Geißendörfer
dotiert mit 3.000 €
Gewinner: „Auf dünnem Eis“ von Sabine Bernardi
Begründung: Gute Recherche, sensible Darstellung der Charaktere und die eindringliche und klare Regie von Sabine Bernardi machen diesen Film zu einem Spiegel der heutigen Gesellschaft. Beide Protagonisten, Er, ein gescheiterter in Lebenslügen verstrickter Penner mit Alkoholproblem ,Sie, überforderte Singlemutter mit finanziellem Notstand und Schieflage mit dem Ex, versuchen in ihrer verzweifelten Lebenssituation durch gegenseitiges Geben und Nehmen ihrem Leben einen neuen Inhalt zu geben. Zu schön um wahr zu sein. Das Drehbuch von Silke Zert lässt sie scheitern. Milieugenau zeichnet es den widerkehrenden Zerfall seines Lebens, den Sie trotz aller Bemühungen nicht abwenden kann. Der Film berührt tief, auch dank der schönen und sensiblen Kamera von Bernhard Keller.
(Fernsehfilm-Jury: Harry Baer, Cathrin Ehrlich und Jutta Speidel)

9. Bester Spielfilm (Goldener Biber)
Gestiftet von der Stadt Biberach
dotiert mit 8.000 €
Gewinner: „Und Morgen die ganze Welt “ von Julia von Heinz
Begründung: Die zwanzigjährige Jurastudentin Luisa stammt aus einer adligen Familie. Mit Sorge sieht sie die wachsenden rechten Tendenzen in der Gesellschaft. Sie tritt der Antifa bei und gerät in einen Radikalisierungssog, der sie vor die Entscheidung stellt, ob sie bereit ist, für ihre politische Überzeugung zu töten.
Besonders hervorzuheben ist an diesem dicht erzählten Spielfilm von Julia von Heinz vor allem die darstellerische Leistung von Mala Emde. Sie verkörpert die Studentin Luisa mit einer Durchlässigkeit und Präzision, die uns berührt, verstört und uns mit der dringlichen Frage konfrontiert, wie gewalttätig Widerstand sein darf. Da Luisas Weg zur Antifa aus ihrer Perspektive gezeigt wird, liegt der Fokus von Anfang an auf Mala Emdes facettenreichem Können. Mit dem Goldenen Biber zeichnet die Jury vor allem die schauspielerische Leistung Mala Emdes aus, wobei die Relevanz der Thematik ebenfalls eine Rolle in der Entscheidungsfindung der Jury gespielt hat. „Und Morgen die ganze Welt“ darf nie wieder das Motto deutscher Politik werden.
(Spielfilm-Jury: Dieter Kosslick, Daniel Reich, Margarete von Schwarzkopf)

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