Ulmer Erzieher schreibt offenen Brief: "Es geht um Eure Kinder!"

frühkindliche Bildung

In der Debatte um den Personalmangel in Kindertagesstätten und Kindergärten fühlt es sich mittlerweile so an, als könne einfach jeder im Kindergarten als Personal eingesetzt werden. So sieht das auch ein Ulmer Erzieher - er wünscht sich vor allem mehr Qualität in der Ausbildung. Und wo bleibt eigentlich die viel geforderte Fachkräfteoffensive in der frühkindlichen Bildung? Welchen Stellenwert hat dieser enorm wichtige Job eigentlich noch? Und - geht es wirklich nur um Personalmangel - oder um fehlende attraktive Arbeitsplätze?

In der Debatte um den Personalmangel und verkürzte Öffnungszeiten in Kindertagesstätten und Kindergärten hat das Land Baden-Württemberg schon reagiert und macht Abstriche bei den Standards in der Kinderbetreuung. So hat jede Erzieherin jetzt zwei Kinder mehr zu betreuen. Außerdem sollen in vielen Städten Eltern ihre Kinder demnächst schon mittags aus der Kita abholen, weil eine Ganztagesbetreuung nicht mehr möglich sei.

Kann einfach jeder im Kindergarten als Personal eingesetzt werden?

Die Gewerkschaft Verdi warnt dazu auch schon vor weiterer Personalflucht in den Südwest-Kitas. Außerdem wirbt Verdi dafür, die Ausbildung attraktiver zu machen und das pädagogische Personal zu entlasten. Das ist auch der Wunsch des Ulmer Erziehers Marco Kerler, der in den sozialen Medien einen Offenen Brief geschrieben hat: „Wann kommt eigentlich der Zeitpunkt, an dem man Kindergärten nicht nur formal als Bildungseinrichtungen sieht?“

Bildungseinrichtung oder Bällebad? Das sagt ein Ulmer Erzieher zur Debatte

DONAU 3 FM Reporter Paolo Percoco hat sich mit dem Ulmer Erzieher Marco Kerler über seinen Offenen Brief unterhalten.

Erziehungswissenschaften verstehen

Marco Kerler absolvierte seine Ausbildung zum Erzieher an der Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik in Ulm. Auch der 38-Jährige fragt sich, wieso man als Erzieher etwas von Erziehungswissenschaften verstehen müsse, wenn doch jeder in die Kita als Personal geschickt werden könne. Selbst bei den Schulen für Sozialpädagogik fragt er sich, ob es überhaupt noch darum geht, gutes Personal auszubilden oder darum, überhaupt ein paar Abschlüsse hinzubekommen, damit die Quote passt. Sein Wunsch: „Setzt hohe Leistungen voraus und siebt gut aus.“ Es ginge schließlich um Menschen, die „die meiste Zeit mit Euren Kindern verbringen. Eigentlich sollte das klar sein.“

Fachkräfteoffensive in der frühkindlichen Bildung? – Fehlanzeige

Und wo bleibt eigentlich die viel geforderte Fachkräfteoffensive in der frühkindlichen Bildung, für pädagogische Fachkräfte? Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bringt dazu einen streitbaren Satz: „Ich kann mir die Erzieherinnen genauso wenig herbeizaubern wie irgendjemand anderes“ – und schiebt die Verantwortung ab – und zwar auf die Kommunen: „Es ist deren Aufgabe, nicht meine.“

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) will derweil möglichst schnell die Abschlüsse ukrainischer Erzieherinnen anerkennen. Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, hat jüngst auch Rentner und ukrainische Frauen als Aushilfen in Kitas vorgeschlagen. Das erinnert an die Debatte aus dem Jahr 2012 über die Folgen der Schlecker-Insolvenz : Ursula von der Leyen, damals Arbeitsministerin, wollte Schlecker-Frauen als Erzieherinnen – auch damals ging es schon um Personalmangel. Kann einfach jeder im Kindergarten als Personal eingesetzt werden? Und – geht es wirklich nur um Personalmangel – oder um fehlende attraktive Arbeitsplätze?

Der Offene Brief im Wortlaut

Es geht um Menschen, die die meiste Zeit mit Euren Kindern verbringen. Eigentlich sollte das klar sein.

„Wann kommt eigentlich der Zeitpunkt, an dem man Kindergärten nicht nur formal als Bildungseinrichtungen sieht? So wie es gerade läuft, geht es doch wieder nur um die Betreuung der Kinder. Fachkräftemangel hin oder her. Wenn man in die Kitas die besten Lehrer/-innen steckt, dann müssen die späteren gar nicht mehr so gut sein, weil das Kind von Anfang an gelernt hat, sich selbst zu bilden usw. Aber da fragt man sich, wieso man als Erzieher etwas von Erziehungswissenschaften versteht, wenn doch jeder in die Kita als Personal geschickt werden kann. Fachkräftemangel hin oder her. Es ist einfach traurig. Aber selbst bei den Schulen für Sozialpädagogik frag ich mich, ob es darum geht, gutes Personal auszubilden oder ob es darum geht, überhaupt ein paar Abschlüsse hinzubekommen, damit die Quote passt. Setzt hohe Leistungen voraus und siebt gut aus. Das ist mein Wunsch. Es geht um Menschen, die die meiste Zeit mit Euren Kindern verbringen. Eigentlich sollte das klar sein.“ (Marco Kerler am 14. Februar 2023)

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